Julia Kalbau begleitet seit rund sieben Jahren als Schiedsrichterin Spiele der Blindenfußball-Bundesliga. Dieses Engagement wird immer wieder mit besonderen Augenblicken und Erfahrungen belohnt, findet die 26-Jährige aus Schleswig-Holstein. Zudem sieht sie sich als Teil einer positiven Veränderung bei der Außenwahrnehmung des Behindertensports.
Gänsehautmomente beschere ihr jeder Torerfolg, jeder Jubel, wenn sie beim Blindenfußball auf dem Platz stehe, sagt Julia Kalbau. Daran habe sich in den vergangenen sieben Jahren nichts geändert. Seit 2015 lässt sie die Faszination für den Blindenfußball nicht los. Dabei jagt die Schleswig-Holsteinerin gar nicht selbst dem Rasselball hinterher, um den gegnerischen Torwart zu überwinden. Kalbau ist Schiedsrichterin in der Blindenfußball-Bundesliga. Die Begeisterung für diesen Sport hat sie also gepackt, wenn auch von einer anderen Seite als die Aktiven.
Es sind die Fertigkeiten der Spielerinnen und Spieler, die sie beeindrucken. Ihre Ballbeherrschung und Dynamik im Match - auch ohne Spielfeld, Ball und Gegenspieler mit den Augen sehen zu können. Es sind aber auch die Möglichkeiten, die ihr die regelmäßige Spielleitung der Partien eröffnen. „Inklusion hat ja genau dann funktioniert, wenn sie nicht mehr als etwas Besonderes wahrgenommen wird, sondern als Selbstverständlichkeit“, sagt Kalbau. Auf diesem Weg sei noch einiges an Strecke zurückzulegen, ein gutes Stück aber auch schon absolviert und „ich bin ein Teil von dieser Veränderung“, macht die 26-Jährige deutlich.
Um voranzukommen, ist es aus Sicht der angehenden Lehrerin auch wichtig, mit den Spieltagen der Blindenfußball-Bundesliga mitten in die Städte zu gehen. Dorthin, wo die Menschen zusammenkommen und viele Passanten beinahe beiläufig einen Eindruck von diesem packenden Sport erhalten, wenn sie nach dem Shopping am Spielfeld verweilen und zuschauen. „Das hilft unfassbar. Je mehr Menschen mal dabei gewesen sind, desto mehr können auch nachher darüber sprechen und davon berichten“, erklärt sie.
Ein Meilenstein für die Wahrnehmung des Blindenfußballs waren die erstmals auf dem Kölner Roncalliplatz, im Schatten des Doms, ausgetragenen Fußball-Inklusionstage. Das glaubt auch Stephan Grunwald: „Mit der Einbettung des Spieltags in die Inklusionstage und die Auswahl der Austragungsstätte im Herzen der Stadt Köln haben wir den Blindenfußball und die übrigen Wettbewerbe für Sportler mit Behinderung weiter ins Blickfeld der Öffentlichkeit gerückt. Auf diese Weise wollen wir dazu beitragen, dass noch mehr Menschen mit Handicap Zugang in die bundesweit rund 24.300 Fußballvereine finden“, sagte der Schatzmeister des DFB und der DFB-Stiftung Sepp Herberger, die die Blindenfußball-Bundesliga seit dem Jahr 2008 gemeinsam mit dem Deutschen Behindertensportverband und dem Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband veranstaltet.
Im Verlauf dieser Saison zog die DBFL vom Schlossplatz in Karlsruhe über den Kaiser-Friedrich-Platz in Soest, die Fürstinnenstraße in Gelsenkirchen bis zum Gelände am Nordufer mitten in Berlin. Mit dem Spieltag auf dem Kölner Roncalliplatz fand dann der Abschluss an äußerst prominenter Stätte statt. Julia Kalbau war immer wieder dabei. Das i-Tüpfelchen ihres Engagements war der Einsatz beim abschließenden und entscheidenden Spiel im Kampf um den Meistertitel, das der Titelverteidiger FC St. Pauli schließlich mit 4:0 gegen den MTV Stuttgart gewann.
Dieses Spiel war einer der Höhepunkte in Kalbaus Schiedsrichter-Laufbahn, die sie nicht nur in die deutschen Metropolen geführt hat, sondern auch ins europäische Ausland. Zur Europameisterschaft im italienischen Pescara und zum World-Grand-Prix im französischen Straßburg. „Ich bin durch den Blindenfußball so viel herumgekommen und habe viele Dinge erlebt und gesehen, das wäre sonst nicht möglich gewesen“, so Kalbau, die in Wallsbüll, einem kleinen Ort unweit der deutsch-dänischen Grenze, zu Hause ist.
Beim Blindenfußball ist sie meist mit vertrauten Menschen auf Achse. Zu den Spieltagen gehören gemeinsame Abende und Übernachtungen an den Austragungsstätten. Das schafft wiederum eine familiäre Atmosphäre, die es im Meisterschaftsbetrieb in den Ligen des traditionellen Fußballs so nicht gibt, weil sich nach Abpfiff und Gang in die Kabine meist die Wege schnell wieder trennen.
Kalbau kennt auch diesen Alltag. Seit 2012 engagiert sie sich als Schiedsrichterin. „Ich war damals Spielerin, als mein Trainer gesagt hat, dass Schiedsrichter gesucht werden“, erinnert sie sich. Sie fand Gefallen an der Tätigkeit, stieg auf und assistierte schließlich sogar in der 2. Frauen-Bundesliga, ehe ein Kreuzbandriss sie jäh stoppte und zu einer längeren Auszeit zwang. „In dieser Zeit habe ich festgestellt, dass der Leistungsdruck auf dem Weg nach oben eigentlich nichts für mich ist“, sagt die Schleswig-Holsteinerin, die aber immer noch für den TSB Flensburg auf den Plätzen der Kreisliga im Einsatz ist und dabei trotz ihres jungen Alters von ihren umfangreichen Erfahrungen profitiert.
Reichlich Erfahrung hat sie inzwischen auch in der Blindenfußball-Bundesliga gesammelt. „Emotionen und kämpferische Einstellung der Aktiven sind absolut ähnlich. Als Schiedsrichterin sind jedoch andere Qualitäten gefordert“, macht sie deutlich. Man müsse auf die Rufe, die Kommunikation der Aktiven untereinander und mit den mannschaftseigenen, sehenden Guides achten, aber auch erahnen, was im eigenen Rücken geschehe. „Sonst droht man umgerannt zu werden“, schmunzelt Kalbau. Neben den beiden Schiedsrichtern auf dem Feld gibt es daher zwei weitere am Spielfeldrand sowie einen Unparteiischen, der die Auswechslungen beaufsichtigt. „Das Geschehen erfordert ein Höchstmaß an Konzentration“, erklärt die junge Frau, die erstmals 2014 in Lübeck einen Blindenfußball-Bundesliga-Spieltag als Volunteer begleitete, Interesse fand und einige Monate später einen entsprechenden Schiedsrichter-Lehrgang besuchte.
Das ist nun mehr als sieben Jahre her. Längst mag sie die Herausforderung, ein Spiel zu leiten. „Das gilt aber auch für die Partien mit sehenden Aktiven“, erklärt Kalbau. Autorität, Ausstrahlung und eine gute Ansprache seien auf dem Platz gefragt. „Das hat sicherlich zu meiner Persönlichkeitsentwicklung beigetragen und mir auch die Tür zum beruflichen Werdegang als Lehrerin geöffnet“, meint sie. Dieses Ziel hat sie mit dem Abschluss des Referendariats bald erreicht. Ein weiteres ist noch offen. „Ich würde gerne als Schiedsrichterin bei den Paralympics 2024 teilnehmen“, macht Kalbau deutlich. Das wäre ein erneutes Highlight und zweifellos die Chance, eine Menge weiterer Gänsehautmomente beim Blindenfußball zu erleben.